DÜRR-Interview: Keine Freiheits-Einschränkung auf Vorrat

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Mittelbayerischen Zeitung“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Gernot Heller:

Frage: Der Expertenrat der Bundesregierung mahnt wirksame Vorbereitungen für den Corona-Herbst an.

Dürr: Was der Expertenrat betont hat, ist, dass wir eine systematische Datenerhebung und ein digitales Echtzeitbild vom Pandemie-Verlauf brauchen. Ich habe Ähnliches schon vor Wochen gefordert, und zwar auf technischer wie organisatorischer Ebene. In einem zweiten Schritt müssen wir dann sehen, was uns der Evaluationsbericht Ende Juni sagen wird, der die Vorgaben und Beschränkungen der Vergangenheit auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. Das sollten wir abwarten, bevor wir entscheiden, um welche Schutzmaßnahmen es künftig gehen kann. Bei einer wissen wir schon, dass sie falsch war: Die Lockdowns an Schulen und Universitäten. Dem sind bereits die Ministerpräsidenten gefolgt mit dem Beschluss, dass es das nicht mehr geben soll und darf.

Frage: Kann man mit der Vorbereitung bis Ende des Sommers warten?

Dürr: Die Vorbereitung muss jetzt starten. Beispielsweise brauchen wir eine echte Digitalisierung des Gesundheitswesens, die uns jederzeit die Information gibt, wie die aktuelle Lage aussieht. Und wir benötigen ein effektives Frühwarnsystem, um uns gegen neue Virus-Varianten wappnen zu können – Stichwort Abwasser-Screening. Was inhaltliche Maßnahmen angeht, so sollten wir erst einmal den Evaluationsbericht abwarten. Die Experten fordern gesetzliche Vorkehrungen, um rasch reagieren zu können.

Frage: Wird es also mit der FDP ein Nachschärfen des Infektionsschutzgesetzes geben?

Dürr: Was es nicht geben kann in einer liberalen Demokratie, ist, dass man Freiheitseinschränkungen auf Vorrat zulässt, nach dem Motto: Es könnte etwas kommen, also schränken wir die Freiheit der Menschen vorsorglich ein. Etwas anderes sind Vorsichtsmaßnahmen, und darüber kann man reden. Dafür brauchen wir aber eine wissenschaftliche Basis und dürfen nicht etwas beschließen, weil dazu eine politische Debatte läuft. Der Evaluationsbericht ist ja bewusst auf Ende Juni terminiert worden, damit der Gesetzgeber dann angemessen handeln kann. Wir sind, was die Schutzmaßnahmen angeht, voll im Zeitplan. Was das Organisatorische angeht, muss es aber rasch losgehen.

Frage: Was sagen Sie zu der Argumentation, man müsse das Gesetz mit seinen Optionen für ein Handeln breit anlegen, weil die Pandemie viele Unwägbarkeiten bietet?

Dürr: Es ist rechtlich schwierig, zu sagen, wir machen vieles auf Vorrat möglich. Das kann man in einem Rechtsstaat nicht machen. Im Übrigen haben wir in der Vergangenheit gezeigt, dass der Bundestag das Infektionsschutzgesetz binnen kürzester Zeit ändern kann, wenn eine neue Situation eintritt. Als Gesetzgeber sind wir alles andere als langsam. Im Bundestag waren wir im letzten Dezember wesentlich schneller als die Konferenz der Länder-Ministerpräsidenten. Selbst wenn im Sommer eine neue Bedrohungslage entstünde, könnte der Gesetzgeber sehr schnell reagieren.

Frage: Was halten Sie von einer Strategie, die nicht mehr die Eindämmung der Pandemie, sondern den Schutz vulnerabler Gruppen in den Vordergrund schiebt?

Dürr: Das ist genau das, was wir als FDP schon zu Beginn der Pandemie angemahnt haben. Und ich gehe davon aus, dass das auch für den Herbst eine gute Strategie sein kann.