Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle gab der „WELT“ (Donnerstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Ricarda Breyton:
Frage: Die Ampel-Koalition hat sich eine Wahlrechtsreform vorgenommen und eine Kommission eingesetzt, die sich auch mit „dem Ziel einer paritätischen Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament“ befassen soll. Ein Herzensanliegen der FDP?
Kuhle: Es spricht nichts dagegen, sich in einer Kommission im Bundestag darüber zu unterhalten, wie mehr Frauen in den Parlamenten vertreten sein können. Nur muss das Ganze ohne eine verpflichtende Paritätsregel erfolgen. Wir haben angesichts der Entscheidungen der Verfassungsgerichte in Brandenburg und in Thüringen gesehen, dass eine solche Pflicht gar nicht mit unseren verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar wäre.
Frage: SPD und Grüne sprechen sich für Paritätsgesetze aus.
Kuhle: Die FDP wird einer verpflichtenden Frauenquote im Bundestag nicht zustimmen. Und zwar nicht nur, weil wir sie für verfassungswidrig, sondern auch für falsch halten. Grüne und SPD gehen davon aus, dass ein Parlament dann perfekt zusammengesetzt ist, wenn es zu 50 Prozent aus Männern und zu 50 Prozent aus Frauen besteht, weil dann Frauen und Männer gleich repräsentiert seien. Als Parlamentarier hat man aber immer die Verantwortung für das gesamte Volk. So steht es ausdrücklich in unserem Grundgesetz.
Frage: Wenn ohnehin klar ist, dass die FDP einer Paritätsregel nicht zustimmt: warum dann eine Kommission zu dem Thema? Ist das nicht Ressourcenverschwendung?
Kuhle: Nein, weil es nicht nur die Alternativen „verpflichtende Paritätsregeln“ oder „gar nichts“ gibt, sondern auch andere Möglichkeiten, wie man die Attraktivität und die Partizipation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen an Politik steigern kann. Wir haben zum Beispiel das Problem, dass die Sitzungszeiten im Parlament heute so sind, dass es Menschen mit kleinen Kindern schwerer fällt, sich für ein politisches Amt zu bewerben. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob wir längere Elternzeiten auch im politischen Bereich einführen können. Darüber soll die Kommission diskutieren.
Frage: Auch diskutieren soll sie, wie sich der Bundestag verkleinern lässt. Schon im Vorfeld haben Sie mit Ihren Ampel-Kollegen eigene Vorschläge vorgelegt, was manche Experten verärgert hat. War das Vorpreschen ein Fehler?
Kuhle: Unser Bundestag wächst seit Jahren immer weiter. Das liegt vor allem an der Union, die es in der Vergangenheit nicht geschafft hat, eine Wahlrechtsreform auf den Weg zu bringen. Der Widerstand von CDU und CSU zeigt, wie richtig es ist, dass die neue Ampel-Koalition jetzt bei der Verkleinerung des Bundestages Nägel mit Köpfen macht.
Frage: Sie wollen die Zahl der Abgeordneten auf 598 begrenzen. Umstritten ist das „Wie“. Ihr Vorschlag sieht vor, dass ein Wahlkreis nicht mehr unbedingt an den Kandidaten mit den meisten Stimmen geht. Wenn eine Partei nämlich weniger Zweit- als Erststimmen erhält, gehen manche Wahlkreisgewinner dieser Partei leer aus. Warum soll sich dann noch Wahlkampf lohnen?
Kuhle: Das Modell ist zutiefst demokratisch und auch gar nicht neu. In Bayern kommt man zum Beispiel gar nicht in den Landtag, wenn man einen Wahlkreis gewinnt, aber die eigene Partei die Fünf-Prozent-Hürde nicht schafft. Und auch in vielen Bundesländern gibt es Kommunalwahlordnungen, in denen Kandidaten mehr Stimmen erhalten als andere, aber trotzdem nicht ins Parlament einziehen, weil die Liste insgesamt nicht genügend Stimmen hat. Durch unser Modell würde sich an der Zuteilung auch gar nicht viel ändern. Bei der letzten Bundestagswahl wären von 299 Wahlkreisen nur 34 nicht an den Kandidaten mit den meisten Erststimmen gegangen. Das Einzige, was sich ändern würde, ist, dass der Bundestag viel kleiner würde. Das gefällt manchem aus der Union nicht.
Frage: Die Union schlägt ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht vor, bei dem 299 Abgeordnete direkt gewählt würden und 299 über Parteilisten. Auch Sachverständige in der Wahlrechtskommission sagen, dass das deutlich verständlicher wäre als Ihr Modell. Was spricht dagegen?
Kuhle: Gegen das sogenannte Grabenwahlrecht der Union spricht, dass alle Parteien bei der letzten Wahl Sitze verloren hätten, außer der Union. Es hätte dazu geführt, dass Armin Laschet Kanzler geworden wäre, obwohl CDU und CSU bei den Zweitstimmen hinter der SPD lagen. Das ist niemandem zu vermitteln. Sie argumentiert beim Wahlrecht ausschließlich anhand der eigenen Interessen.
Frage: Das Problem könnte behoben werden, wenn es den anderen Parteien gelänge, mehr Direktmandate zu gewinnen.
Kuhle: Es sollte der Ehrgeiz anderer Parteien sein, künftig auch Direktmandate zu gewinnen. Auch meiner. Unabhängig davon müssen wir aber kritisch hinterfragen, ob der Gewinn eines Direktmandats mit um die 20 Prozent überhaupt ausreichend sein kann. In einem solchen Fall ist der vermeintliche Gewinner doch von 80 Prozent nicht gewählt worden. In einer solchen Konstellation zu behaupten, dass es die einzige demokratische Lösung sei, diese Person dann den Wahlkreis vertreten zu lassen, ist in einem sich verändernden Parteiensystem nicht mehr zeitgemäß.