Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Ann-Kathrin Büüsker:
Frage: Hätten Sie sich das vorstellen können vor einem Jahr, dass wir heute hier im April 2021 noch sitzen, uns nicht zur Begrüßung die Hand geben können, uns mit FFP2-Masken entgegentreten müssen, zwischen uns eine Plexiglasscheibe, alles auf Abstand – hätten Sie das vor einem Jahr tatsächlich für möglich gehalten?
Buschmann: Also gehofft habe ich, dass es nicht so ist. Gewünscht habe ich mir, dass es nicht so ist. Allerdings hat es auch damals schon Wissenschaftler gegeben, die sagen, es wird vermutlich nicht die eine Wunderwaffe geben, mit der das Virus in kurzer Zeit verschwindet, sondern es wird sich vermutlich etwas hinziehen. Trotzdem hätte ich damals nicht gedacht, dass wir heute noch so akut in den Problemen stecken.
Frage: Stecken wir vielleicht auch so tief drin, weil die Politik massive Fehler gemacht hat?
Buschmann: Ja, das wird man im Nachhinein sicherlich immer sagen können. Man sollte es sich nicht zu leicht machen. Ich könnte jetzt auch als Oppositionspolitiker sagen, die Regierung hat alles falsch gemacht, so leicht will ich es mir nicht machen. Fakt ist allerdings, dass wir an unterschiedlichen Stellen schon falsch abgebogen sind. Wir haben sehr lange darüber diskutiert, wer Impfstoff beschaffen darf, anstatt einfach zu Beginn Impfstoff zu beschaffen. Jetzt hat Markus Söder vor ein paar Tagen gezeigt, dass man sozusagen auf, ich nenne das mal, kleinem Dienstwege auch noch zusätzliche Kapazitäten beschaffen kann.
Frage: Wobei es da ja unklar ist, ob das überhaupt tatsächlich funktionieren kann und dann noch gebraucht wird, wenn es kommen könnte.
Buschmann: Das stimmt, ich wollte nur einmal in diesem Interview auch etwas Nettes über Herrn Söder sagen, um insgesamt zu zeigen, wir haben viel zu viel darüber geredet, wer was machen darf, anstatt einfach es voranzutreiben. Genauso ist es dann auch bei der Verimpfung zum Beispiel gewesen. Da hat man sich viel zu lange Zeit gelassen, beispielsweise die niedergelassenen Ärzte einzubeziehen. Wir sehen ja in den letzten zwei Tagen, was das für einen Riesenschub gebracht hat. Die Zahlen haben sich ja da verdoppelt bei der Verimpfung. Also weniger, sagen wir mal, über Egos reden, weniger, wer was machen darf und mehr die Sache vorantreiben, das ist sicherlich eine Lehre, die die Politik bitte ganz, ganz schnell ziehen sollte.
Frage: Sie haben gerade gesagt, wir haben zu viel drüber geredet, statt etwas zu machen, und trotzdem wollen Sie, dass jetzt auch im Parlament mehr darüber geredet wird, was gemacht wird, warum?
Buschmann: Ja, weil natürlich auch das Richtige gemacht werden muss. Schauen Sie mal, wir stecken ja heute in einem riesigen Schlamassel. Die MPK ist abgesagt, da ist so ein bisschen Orientierungslosigkeit ausgebrochen, und das ist ja eine Folge der letzten MPK, wo es ja eine massive Fehlentscheidung gab. Die Bundeskanzlerin hat die sogenannte Osterruhe durchgedrückt. Dann hat man gemerkt, das ging so nicht, sie musste es wieder zurücknehmen, hat sich entschuldigt, und das hat ja nicht nur in der Bevölkerung zu einem Vertrauensverlust in die Politik geführt, sondern offenbar auch zum Verlust des Vertrauens der Teilnehmer der MPK in dieses Format. Das Parlament hat einen Vorteil, da sitzen natürlich nicht bessere Menschen, aber der Parlamentarismus hat über viele, viele Jahre Qualitätssicherungsinstrumente entwickelt, dass wir nicht nachts um 3:00 Uhr entscheiden, sondern dass es ein, zwei, drei Lesungen gibt, dass es Sachverständigenanhörungen gibt, dass es auch eine Vielzahl von Dimensionen gibt, die da beleuchtet werden. Also Ministerpräsidenten sind Generalisten, die verstehen von allem ein bisschen was, aber der Bundestag mit seinen Fachausschüssen, der hat eben viele Spezialisten, die auch mal tiefer aus unterschiedlichen Perspektiven bohren, und das sorgt einfach dafür, dass die Entscheidungen im Regelfall besser nachhaltiger sind und lieber etwas mehr Zeit für eine gute Entscheidung, als lauter Schnellschüsse, die man dann wieder einkassieren muss.
Frage: Jetzt ist ja der Plan tatsächlich, das Infektionsschutzgesetz zu ändern, den Bundestag mit einzubeziehen. Sie haben gerade gesagt, dafür braucht man Zeit und eigentlich haben wir diese Zeit gerade, haben wir Zeit für all die Diskussionen, während auf der anderen Seite aus der Intensivmedizin quasi schon gebettelt wird, jetzt akut zu handeln?
Buschmann: Also ich glaube, wenn der Bundestag Entscheidungen vorgelegt bekommt, die in Wahrheit, sagen wir mal, sehr überschaubar sind, wenn es um punktuelle Änderungen geht, dann können wir auch vernünftig sehr schnell entscheiden. Das haben wir ja schon gezeigt. Man kann, wenn man es will, im Deutschen Bundestag einen Gesetzesbeschluss auch in einer Woche auf den Weg bringen. Das ist jetzt nicht wesentlich langsamer als eine MPK. Denn machen wir uns nichts vor, die entscheidet ja auch nicht spontan, sondern da verhandeln vorher die Staatskanzleien miteinander, das geht auch mindestens eine Woche. Wichtig ist mir dabei, dass dabei aber auch dann eben nicht Schnellschüsse rauskommen. Es muss eine vernünftige Beratung möglich sein. Das ist bei punktuellen überschaubaren Beschlüssen in einer Woche schon denkbar. Was jetzt nicht ginge, ist, wenn wir eine 80-Seiten-Vorlage bekämen und über Nacht darüber entscheiden müssen. Solche Situationen gibt es leider auch im Parlament immer mal wieder. Die Erfahrung lehrt, dass dabei nicht unbedingt gute Entscheidungen rauskommen, weil die Dinge müssen schon vernünftig durchdacht sein.
Frage: Wie müsste denn dann jetzt eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes aussehen, damit Sie A) glauben, dass das realistisch umsetzbar ist, und damit B) die FDP mitmacht?
Buschmann: Wir haben ja schon vor Monaten im Prinzip die Methode vorexerziert. Sie wissen ja, wir haben einen Stufenplan gefordert, der bundesweit einheitliche Wenn-Dann-Regeln vorsieht, die aber immer bezogen auf die konkrete Lage vor Ort sind. Also sprich, beispielsweise wenn in einem Landkreis oder in einer Stadt bestimmte Kriterien erfüllt sind, dann müssen automatisch auch bestimmte angemessene Maßnahmen ergriffen werden. Wichtig ist eben diese Bezogenheit auf die Lage vor Ort. Wir wollen nicht das gesamte Land über einen Kamm scheren, weil selbst jetzt noch, wo wir in der Tat eine angespannte Situation haben, gibt es eben auf der einen Seite Regionen, Landkreise wie in Bayern mit einer 300er/400er Inzidenz und gleichzeitig eben auch Bundesländer, die landesweit deutlich drunter liegen, Schleswig-Holstein irgendwie unter 70 und auch Landkreise bei 30 oder 40, und da ist es eine Frage auch der Grundrechte, der Verhältnismäßigkeit. Wenn Sie in einer Region mit einer 30er oder 40er Inzidenz die Menschen genauso hart behandeln aus der grundrechtlichen Perspektive wie in einer anderen Region mit der zehnfachen Inzidenz, dann wird das der Verfassung nicht gerecht, und das werden Gerichte und haben Gerichte auch immer wieder so entschieden. Deshalb kann der Weg nur der der Regionalisierung sein, nicht das ganze Land über einen Kamm zu scheren.
Frage: Aber Herr Buschmann, da werden jetzt ganz viele Bürgerinnen und Bürger wahrscheinlich sagen: Moment mal, diesen Stufenplan, den hat doch die MPK Anfang März vorgelegt. Warum brauchen wir das jetzt als Änderung des Infektionsschutzgesetzes?
Buschmann: Na ja, die MPK zeichnet sich ja insbesondere durch, ich möchte mal sagen, wolkige und interpretationsfähige Beschlüsse aus. Es ist ja so, dass diese Beschlüsse dann irgendwann, manchmal hat man das Gefühl, gefasst werden, damit man überhaupt was hat, und dann dauert es manchmal nicht mal Tage, sondern innerhalb von Stunden, dass Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sich entweder davon distanzieren oder das sehr unterschiedlich interpretieren, und das löst natürlich den Unmut bei den Menschen aus, weil sie sich natürlich die Frage stellen, unabhängig wie sie eine Regel bewerten, was gilt denn jetzt überhaupt, also auf welcher Grundlage soll ich mir denn jetzt eine Meinung bilden, woran soll ich mich orientieren. Das liegt an diesem Format, denn die MPK beschließt ja keine Gesetze, das kann sie nicht, sondern sie beschließt so politische Erklärungen, die häufig eben, wie politische Erklärungen manchmal so sind, wolkig formuliert sind. Der Bundestag, wenn er das Infektionsschutzgesetz beispielsweise anfassen würde, müsste ja echte Gesetzestexte beschließen, die sich durch einen Tatbestand und eine Rechtsfolge auszeichnen. Wenn das gut gemacht ist, ist der Tatbestand präzise, dass man genau weiß, wann gilt es und die Rechtsfolge ebenso präzise, was ist dann zu tun. Das wäre natürlich auch eine Anforderung, die wir haben. In der Vergangenheit, als das Infektionsschutzgesetz angefasst worden ist, ist diese Anforderung nicht erfüllt. Wir haben beispielsweise den berühmten § 28a, da sind zwar Tatbestände beschrieben, und da sind auch Rechtsfolgen beschrieben, aber wann, welche dieser Rechtsfolgen bei welchen Tatbeständen zulässig ist, das ist total unklar, und deshalb war das kein gutes Gesetz.
Frage: Das heißt, hier müsste man aus Ihrer Sicht jetzt tatsächlich diesen Stufenplan in ein konkretes Gesetz gießen?
Buschmann: Nur so wird es gehen, also so verstehe ich auch die Idee der sogenannten Notbremse, die jetzt kommen soll. Das wird vermutlich so aussehen, dass man anhand von mehreren Kriterien umschreibt, wann diese Notbremse gezogen werden muss. Da kann die Inzidenz ein Hinweis sein. Da wird wahrscheinlich auch der Zustand auf den Intensivstationen sinnvollerweise hinzugezogen werden, R-Werte, was es da eben so gibt. Wenn man dann sagt, wenn ein Kriterienbündel so oder so vorliegt, dann sind folgende Maßnahmen zu ergreifen, und dann muss man das präzise umschreiben. So etwas wird man machen müssen, und zwar eben wichtig, regionalisiert, weil sonst wird es, behaupte ich, vor den Gerichten nicht Stand halten.
Frage: Das ist ja ein interessanter Punkt. Es gibt Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler, die sagen, ein Gesetz wäre vor Gericht insgesamt stabiler als eine Verordnung. Die Länder erlassen ja bisher Verordnungen, in denen sie so was wie die Notbremse einschreiben. Hier hätten wir jetzt ein Gesetz. Wie stehen Sie zu der These?
Buschmann: Absolut, das haben wir ja auch schon von Anfang an gesagt. Wenn ich in Grundrechte eingreife, und das bedeutet so ein Lockdown ja in jedem Fall, wenn ich jemandem sage, du musst dein Geschäft zumachen, wenn ich jemandem sage, du darfst deine Wohnung nicht mehr verlassen, du darfst deine Angehörigen nicht sehen, greife ich in Grundrechte ein. Unsere Verfassung hat das Prinzip, dass, wenn man in Grundrechte eingreift, muss man es erstens gut begründen, und man braucht eine gesetzliche Grundlage.
Frage: Das heißt aber, aus Ihrer Sicht ist die Bundesregierung jetzt eigentlich auf einem prima Weg.
Buschmann: Das werden wir erst beurteilen können, wenn wir eben sehen, wie der Tatbestand beschrieben ist, also welche Kriterien herangezogen werden. Wer beispielsweise nur auf die Inzidenzen schauen würde, der würde ja sogar vermutlich Kritik von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bekommen, die jetzt sich harte Mnahmen wünschen, weil die sagen, der Inzidenzwert kann nur einer von mehreren Hinweisen sein. Also auf der Tatbestandsseite müssen wir genau schauen, wie ist das ausgefüllt, und auf der Rechtsfolgenseite müssen wir genauso hinschauen. Beispielsweise ich halte Ausgangssperren für ein immer unverhältnismäßiges Mittel, weil wir wissen, dass Infektionen durch Kontakte stattfinden, nicht durch das Verlassen der Wohnung. Also ich brauche Kontaktbeschränkungen, darüber lässt sich reden, aber jemandem zu sagen, du darfst einfach deine Wohnung nicht verlassen oder zum Teil nicht mal in deinen eigenen Garten gehen, wie das ja zum Teil auch vorgesehen worden ist, was hat das mit Infektionsbekämpfung zu tun? Also sprich, die Rechtsfolgenseite muss vernünftig und verhältnismäßig sein, und wenn beides stimmt, wunderbar, dann gibt es von uns Applaus. Wenn der Tatbestand aber nicht gut formuliert ist, wenn die Rechtsfolge unverhältnismäßig ist, dann wird es von uns Kritik geben.
Frage: Jetzt ist ja auch noch die Frage, was tatsächlich alles miteinbezogen wird, also ob der Bund dann in diesem Gesetz auch Schulschließungen mit reinschreiben kann. Die Frage ist auch, ob Schließungen des Einzelhandels mit inkludiert werden sollten/könnten. Wie stehen Sie dazu?
Buschmann: Also es gibt Gutachten, die sagen, dass der Bund im Rahmen seiner Infektions- oder Seuchenabwehrkompetenzen sehr, sehr weitreichende Regelungen treffen kann. Darüber kann man wie immer unter Juristen diskutieren, aber prinzipiell kann er das schon, aber wo Sie den Einzelhandel ansprechen, das ist so ein gutes Beispiel für Verhältnismäßigkeit. Ich finde, wenn eine Regelung Sinn macht und einleuchtet, kann man es machen, aber zum Beispiel gibt es ja im Moment zum Beispiel auch in Bayern Möglichkeiten, dass man auch im Inzidenzwertbereich zwischen 100 und 200 mit Negativtests, mit Masken und Terminvereinbarung in den Einzelhandel rein kann. Ich finde, das ist auch erst mal plausibel, weil wenn jemand sowohl negativ getestet ist wie auch eine FFP2-Maske trägt und, sagen wir mal, nur der Verkäufer und ein Kunde sich begegnen, dann ist das Risiko, dass da etwas passiert, minimalst, und man wird nur sehr schwer argumentieren können, dass davon eine schlimme Gefahr ausgeht. So etwas beispielsweise zu verbieten, wenn man nicht wirklich sehr, sehr gute Gründe hat, ist kaum verhältnismäßig, würde ich jetzt mal sagen. Genauso müssen wir uns das, was da jetzt möglicherweise morgen über übermorgen uns als Text vorgelegt wird, uns anschauen, macht das wirklich Sinn, und nur was Sinn macht, kann auch verhältnismäßig sein.
Frage: Wir zeichnen dieses Interview am Freitagnachmittag auf, das sei vielleicht noch dazu gesagt. Ausgestrahlt wird es dann am Sonntag. Sie sprechen jetzt ganz viel über Verhältnismäßigkeit. Sie haben schon gerade gesagt, man kann unter Rechtswissenschaftlern auch immer ganz hervorragend über die Aspekte streiten. Es ist ja so ein bisschen auch demokratisches Feinschmeckerthema, über das wir hier eigentlich sprechen, während da draußen, ich habe es zu Beginn unseres Interviews schon angesprochen, aus der Intensivmedizin Appelle kommen, jetzt einen schnellen Lockdown zu machen, etwas zu tun, damit das Virus sich nicht weiter ausbreitet. Jens Spahn hat heute betont, dass wir die dritte Welle brechen müssen, weil sonst unser Gesundheitssystem zusammenbricht, und schon jetzt sagen Kliniken ihre OP-Termine ab, weil sie nicht mehr sie gewährleisten können, die medizinische Versorgung der Menschen. Also wir rutschen immer stärker in eine Gesundheitskrise hinein, wir sind eigentlich schon mittendrin. Sehen Sie gerade nicht die Notwendigkeit, die dritte Welle zu brechen?
Buschmann: Jeder möchte doch die dritte Welle brechen. Also es gibt niemanden, außer vielleicht ein paar Leute, die sagen, es gebe dieses Virus oder diese Krankheit nicht, die nehme ich jetzt mal außen vor, aber sozusagen alle wollen die dritte Welle brechen. Wir diskutieren über den richtigen Weg, und ich habe sehr viel Verständnis für die Intensivmediziner, die ja wirklich seit Monaten im Dauerstress sind, auch für die Pflegerinnen und Pfleger, die wirklich da im Dauerstress sind, dass die jetzt sagen, wenn die den Zustand, den wirklich auch angespannten Zustand, auf ihren Intensivstationen sehen, dass die jetzt sagen, jetzt muss mal was passieren, und dass die natürlich, sagen wir mal, in erster Linie schauen, wie können wir unsere Belastung reduzieren, da habe ich zu 100 Prozent Verständnis für. Aber wir müssen natürlich auch immer abwägen, die Maßnahmen, bringen die uns nach vorne und welche anderen Belastungen und Kosten bringen sie mit sich. Das heißt, ich finde, wir brauchen extreme Anstrengung beim Impfen. Ich finde, wir brauchen Teststrategien. Ich finde, die FFP2-Maskenpflicht ist etwas total Sinnvolles. Das sind alles Dinge, die unmittelbar einsichtig die Infektionen begrenzen. Ich finde aber, ein pauschaler Lockdown, unabhängig von den Inzidenzwerten, schießt einfach über das Ziel hinaus, denn wir haben die angespannte Lage, auch in vielen Regionen, aber wir haben sie nicht überall.
Frage: Aber wir haben sie in einigen Regionen. Wir haben jetzt aktuell laut Intensivregister an diesem Freitag über 4.500 Menschen, die auf den Intensivstationen liegen. Davon werden 56 Prozent invasiv beatmet und wir wissen, dass die Sterberate bei den beatmeten Patienten sehr, sehr hoch ist. Das heißt, wir können heute schon die Todeszahlen im Prinzip von morgen sehen. Das sind jetzt nicht mehr die ganz alten Patientinnen und Patienten, die dort liegen. Es sind die etwas Jüngeren, die tendenziell auch länger dort liegen. Wir haben also eine massive Situation, wo wir jetzt schon absehen können, es werden Menschen sterben. Sie haben eben gesagt, wir müssen auch die Intensivbetten mit einbeziehen in die Regelung, in die Verhältnismäßigkeitsregelung, aber machen wir da nicht im Prinzip auch ein Kostenetikett an unsere Pandemiemaßnahmen? Wir legen fest, dass eine bestimmte Anzahl von Toden okay ist?
Buschmann: Das ist jetzt eine sehr harte und zugespitzte Formulierung. Insgesamt ist es ja so, dass wir Gott sei Dank bei den Todesfallzahlen die größten Verbesserungen erreicht haben.
Frage: Dank des Impfens.
Buschmann: Denken Sie mal an die Zeit um Weihnachten, wo wir die Sorge hatten, dass täglich 1.000 Menschen oder mehr sterben. Davon sind wir runtergekommen, und das haben wir geschafft insbesondere durch die Impfkampagne, weil wir die verletzlichsten, die vulnerabelsten, wie die Experten sagen, Gruppen vorrangig geimpft haben. Das hat den Erfolg bei den Todesfallzahlen gebracht, dass wir die nach unten bekommen haben, Gott sei Dank. Dass diese Krankheit so gefährlich ist, dass daran Menschen sterben und Menschen auch langfristige Schäden erleiden, ist ja der Grund, warum wir schon so viel tun. Also ich meine, der jetzige Zustand, in dem sich das Land befindet, ist ja auch nicht der Normalzustand. Wir sind ja schon in einem Lockdown, das vergisst man so ein bisschen.
Frage: Weil er halbherzig ist teilweise auch.
Buschmann: Ja, aber wir sind ja seit November in einem Lockdown, und die Frage, wenn man immer weiter zusätzliche Eingriffe macht, verlangt unsere Verfassung, und ich glaube, das ist nicht nur Förmelei, sondern das ist erst einmal ein zutiefst plausibler Gedanke. Je tiefer wir in die Freiheit der Menschen eingreifen, desto besser müssen wir es begründen, und ich bin sofort bei Ihnen, wenn wir einen Landkreis haben, wo die intensivmedizinische Versorgung akut gefährdet ist, wo man sagen muss, wenn hier jemand einen Herzinfarkt hat, dann können wir nicht mehr gewährleisten, dass wir den retten können, dann muss da auch intensiv in Freiheitsrechte eingegriffen werden können. Deshalb sind wir ja auch für den Stufenplan, aber wenn wir Landkreise haben mit einer Inzidenz von 30 oder 40, wo die Situation nicht so angespannt ist, kann ich es den Menschen dort gegenüber nicht begründen, dass sie genauso behandelt werden wie in einer Region mit der zehnfachen Inzidenz, mit möglicherweise der zehnfachen Zahl an Schwererkrankten und mit einer deutlich schlimmeren Situation in den Intensivstationen. Ich glaube, das hat nichts mit Kosten zu tun. Das ist ein zutiefst plausibler Gedanke, ein zutiefst vernünftiger Gedanke.
Frage: Herr Buschmann, Sie haben eben das Stichwort Vertrauen ja schon gebracht, dieses Nichtentscheiden aktuell bei der letzten MPK, dieses Geraffel um die Osterruhe, das hat bei vielen Menschen ja durchaus für Frust gesorgt. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, das zerstört das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern. Dann sehen wir an den Wochenenden noch immer wieder Demonstrationen in zahlreichen deutschen Städten gegen Corona-Maßnahmen, jüngst in Stuttgart, wo Tausende Menschen unterwegs sind und sich nicht an die Regeln halten, an die wir alle uns zu halten versuchen, die zum Teil nicht einmal Masken tragen, und da wird dann durch die Polizei selten eingegriffen. Auch da so ein Moment, wo man sieht, dass politisch nicht gehandelt wird, wo Institutionen nicht handeln, was vielleicht dazu führt, dass Vertrauen verloren geht, also dieses Gefühl der Verantwortung aktuell politisch und von Institutionen des Staates nicht umgesetzt wird. Wie gefährlich kann das aus Ihrer Sicht für unsere Demokratie werden?
Buschmann: Ich glaube, das ist schon ein Stück weit gefährlich, weil Demokratie bedeutet ja am Ende, ich wähle Leute, und ich bin damit einverstanden, dass die Entscheidungen treffen, die Einfluss auf mein Leben haben, und das setzt ein Stück weit Vertrauen voraus, denn wir alle wissen, das Parlament kann entscheiden, was man will, wenn aus der Gesellschaft heraus die Regeln nur auf Ablehnung stoßen, dann finden die Menschen auch immer Wege, um sie zu umgehen, und dann funktioniert das am Ende gar nicht, und ich glaube, da kommen unterschiedliche Dinge zusammen. Erstens glaube ich, die Menschen haben ein ganz feines Gespür dafür, das will ich nicht jedem unterstellen, aber dass einige der Akteure, dass es denen häufig um sehr taktisches Verhalten geht. Schauen Sie sich im Moment mal Markus Söder und Armin Laschet an, wie die sich gegenseitig belauern, und wenn der eine was sagt, was mehrheitsfähig ist, dann sagt der andere, das habe ich aber schon lange gesagt, eigentlich hast du mir meine Idee geklaut und so weiter. Das ist so ein bisschen auf dem Niveau von Sandkasten, wenn ich mir erlauben darf, das mal zu sagen. Das ärgert die Menschen, wenn es um Fragen von Leben und Tod oder auch der eigenen wirtschaftlichen Existenz geht, das ärgert sie. Dieses taktische Verhalten, dieses parteitaktische Verhalten im Sinne von wer wird was, das muss aufhören, sondern wir müssen hart an der Sache argumentieren, und da würde es einmal helfen, wenn man auch klar sagen würde, wo man steht. Wir versuchen sehr klar immer zu sagen, wo wir stehen. Wir wissen, dass unsere Meinung vielleicht nicht jeder teilt, aber seit Monaten machen wir klar, uns ist die grundrechtliche Perspektive wichtig, uns ist die rechtstaatliche Perspektive wichtig. Wir wollen trotzdem bundesweit einheitliche Kriterien, und deshalb haben wir sehr frühzeitig einen Stufenplan vorgelegt. Das kann man für richtig oder für falsch halten. Dazu kann man Argumente austauschen, aber wenn die Bundeskanzlerin wöchentlich und teilweise innerhalb von Tagen ihre Meinung wechselt, dann sorgt das ja auch nicht für Vertrauen. Nehmen Sie diese Woche, da hieß es erst mal, es muss jetzt ein bundesweit pauschaler Lockdown kommen, gemessen an der Durchschnittsinzidenz für das ganze Land. Dann habe ich mir erlaubt, die Frage zu stellen, ist das wirklich, was Sie meinen. An anderer Stelle hört man, es soll jetzt irgendwie regionalisiert werden, genau das scheint jetzt wieder zu kommen. Also innerhalb weniger Tage wurde die These und ihr Gegenteil von derselben Person vertreten.
Frage: Aber ist das nicht auch die Suche nach dem richtigen Weg?
Buschmann: Na ja, aber wir suchen ja jetzt schon ein Jahr, und die Fakten sind ja nicht alle komplett neu. Also wir werden natürlich manchmal von bestimmten Dynamiken überrascht, aber dass wir einen Virus haben, auch, dass wir neue Mutationen des Virus haben, wissen wir nicht seit gestern. Auch über die Eigenschaften dieser Viren wissen wir nicht erst seit gestern Bescheid. Also wer sagt, ich habe meine Meinung in den letzten zwei Tagen um 180 Grad gedreht, weil ich eine völlig neue Information bekommen habe, der möge mir diese völlig neue Information sagen. Vielleicht sollte man lieber mal zwei, drei Tage länger nachdenken und dann zu einer fundierten Position kommen und die dann vielleicht auch mal etwas länger durchhalten. Genau das ist ja die Idee der parlamentarischen Entscheidungsprozesse, die am Anfang ein bisschen länger dauern, die aber fundierter sind und die dann aber auch zu haltbareren, zu nachhaltigeren Ergebnissen kommen, und dafür möchte ich werben.
Frage: Nachdenken ist ein schönes Stichwort, war wahrscheinlich auch von Ihnen eine bewusste Anspielung noch mal auf Armin Laschet, der ja zuletzt über Ostern sehr viel nachgedacht hat. Sie haben gerade eben schon so einen kleinen Seitenhieb gemacht in Richtung die Machtfrage da in der Union und haben, glaube ich, angedeutet, dass das Ganze die Pandemiepolitik auch gerade ziemlich überlagert?
Buschmann: Ich schätze Armin Laschet sehr, die FDP regiert mit ihm in Nordrhein-Westfalen gut zusammen, auch sehr vertrauensvoll, und er stand ja immer für einen ausgewogenen Weg, die Gefahr nicht zu unterschätzen, aber auch zu schauen, wo gibt es Möglichkeiten, wenigstens ein Stück öffentliches Leben wieder möglich zu machen. Das war schon ein Stück weit Kontinuität. Diese Meinung konnte man gut oder schlecht finden, aber die war über viele Monate erkennbar als Linie, und wenn dann innerhalb weniger Tage, sagen wir mal, eine 180 Grad-Kehrtwendung kommt und das zeitlich zusammenfällt mit parteipolitischen Debatten also innerhalb der CDU, dann kann man natürlich auf den Gedanken kommen, dass da jemand sozusagen einen sehr verlässlichen Pfad verlässt aus taktischen Gründen. Letztendlich, ich kann nicht in seinen Kopf hineinschauen, aber ich glaube, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der das so empfindet, und ich kann es nur noch mal wiederholen, wenn die Menschen den Eindruck haben, dass bei Fragen von Leben und Tod und der eigenen wirtschaftlichen Existenz nicht aus der Sache heraus entschieden wird, sondern aus der Frage heraus, wer was wird oder wer welche Karrierepfade betritt, dann werden die Menschen meiner Meinung nach zu Recht wütend. Ich bin es übrigens auch.