Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Münchner Merkur“ (Donnerstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Sebastian Horsch:
Frage: Herr Lambsdorff, die USA geben offenbar ihren Widerstand gegen die Fertigstellung von Nord Stream 2 auf. Ist der Streit um das Projekt damit beendet?
Lambsdorff: Nord Stream 2 ist zu 95 Prozent fertig gebaut. US-Präsident Joe Biden will die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht gefährden, indem er das Projekt weiter blockiert. Der amerikanische Widerstand kommt aber nicht nur aus dem Weißen Haus, sondern besonders aus dem US-Kongress. Dort sind Vertreter beider Parteien weiter der Meinung, dass Nord Stream 2 abgebrochen werden muss. Biden kommt Deutschland hier also weit entgegen, aber er stellt die Bedingung, dass Deutschland Russland sanktioniert, wenn Moskau die Pipeline politisch gegen die Ukraine einsetzen sollte. Da genau das Moskaus Absicht ist, dürfte uns das Thema weiter beschäftigen.
Frage: Sie gelten als Kritiker von Nord Stream 2.
Lambsdorff: Energiewirtschaftlich will ich den Nutzen der Pipeline gar nicht bewerten. Doch wir müssen uns der Tatsache bewusst sein, dass es hier aus der Sicht des Kreml um Geopolitik geht. Moskau will die Ukraine unter Druck setzen, indem es sie durch Nord Stream 2 als Gas-Transitland entbehrbar macht. Deswegen gibt es im Süden, im Schwarzen Meer, Turkstream, ein Parallelprojekt zu Nord Stream, das auch dazu dient, die Ukraine zu umgehen.
Frage: Ist das Einlenken der USA nun ein Triumph für Putin?
Lambsdorff: Auch Sicht des Kreml hat die Pipeline einen wichtigen Zweck bereits erfüllt: Sie hat den Westen gespalten. Der US-Kongress und das EU-Parlament sind dagegen, Frankreich, Skandinavien, die Balten und Polen auch, nur Deutschland und Österreich sind dafür. Wir haben also Streit im westlichen Bündnis. Die Einigung mit den USA erinnert mich daher an ein Heftpflaster auf einem Beinbruch: Es überdeckt die Schramme nach außen, aber dahinter ist viel mehr kaputtgegangen – gerade in der EU. Ein Beispiel: Polen plant wohl ein Atomkraftwerk relativ nahe an der Grenze zu Deutschland. Wie soll Berlin nun Warschau überzeugen, einen anderen Standort zu finden, wenn wir uns so offensichtlich auch nicht um polnische Interessen kümmern?
Frage: Isoliert sich Deutschland in Europa?
Lambsdorff: Ja. Wir haben durch eine miserable diplomatische und außenpolitische Begleitung bei einigen unserer Partner den Eindruck erweckt, wir wollten sie verschaukeln. Dass Angela Merkel immer von einem privatwirtschaftlichen Projekt spricht, macht die Kanzlerin unglaubwürdig. Sie weiß, dass Gazprom dem russischen Staat gehört und Gazprom baut diese Pipeline. Das kostet Vertrauen, das Leute wie Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher oder Joschka Fischer aufgebaut haben. Und obendrein wird es uns auch Geld kosten.
Frage: Inwiefern?
Lambsdorff: Wenn ich mir die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland ansehe, gehe ich davon aus, dass die Gas-Transitgebühren, die die Ukraine aus Russland erhält, nach 2024 ausfallen. Die Amerikaner erwarten dann von uns, dass wir das kompensieren.
Frage: Was müsste Deutschland also tun?
Lambsdorff: Anders als die Grünen wollen wir keine fast fertige Pipeline als Investitionsruine in der Ostsee. Aber wir brauchen einen wasserdichten Vertrag mit Russland, dass es die Ukraine nicht finanziell austrocknet. Davon sollten wir die Betriebsgenehmigung für Nord Stream 2 abhängig machen.